Station 23: Das etwas andere Wahllokal

Wählerstimmen am Stammtisch

Kneipengänger in Mainz haben abgestimmt. Foto: Dielenhein
Kneipengänger in Mainz haben abgestimmt. Foto: Dielenhein

Von Angela Kauer

 

An Stammtischen gewinnt man Wahlen, glauben die Parteien. Fragt sich bloß: Was denkt der Stammtisch - und was wählt er? Das Wahlmobil unserer Zeitung und von RPR1 hat den Test gemacht und in Mainzer Kneipen wählen lassen.

 

Noch fünf Tage bis zur Bundestagswahl - an diesem Abend ist das in Mainz deutlich zu spüren. Guido Westerwelle hält im Kurfürstlichen Schloss Hof. Die Milchbauern blockieren mit ihren Traktoren die Bauhofstraße bis fast in die Neustadt. Und das Wahlmobil unserer Zeitung und von RPR1 geht auf Stimmenfang: In den Kneipen und Bars bitten die jungen Journalisten zur Wahl. Jede Zweitstimme zählt. Los geht es im Lomo.

 

Couscous und indisches Curry stehen dort auf der Karte. Ähnlich bunt ist auch die Kundschaft: Kaschmirpullis fühlen sich dort genauso wohl wie T-Shirts. Viele, die hier sitzen, machen "was mit Medien", studieren Jura oder Politik.

Aber sind sie auch politisch interessiert? Sind sie! Die Probewahl kommt an, fast alle machen mit, und einige wollen sogar darüber reden, wie sie sich entschieden haben - oder warum sie sich noch nicht entschieden haben. "Im Moment könnte ich mein Kreuzchen noch fast überall machen", sagt zum Beispiel Steffen (27). Obwohl er sich über Politik informiert, sind die Positionen der Parteien für ihn zu wenig greifbar. Andere sehen da schon klarer: Das Ergebnis im Lomo ist deshalb eindeutig: 46 Prozent gehen an die Grünen, 19 Prozent fallen für die CDU ab. Die Piraten überspringen locker die Fünf-Prozent-Hürde. Das überrascht nicht wirklich.

 

Ob die Wahl in der Andau anders ausfällt? Die Einrichtung - Eiche rustikal - lässt konservative Gäste vermuten. Aber: Auch hier sind die Grünen (31 Prozent) klarer Sieger, könnten gemeinsam mit der FDP (25 Prozent) eine Regierungskoalition bilden.

 

Letzter Versuch im Sixties. An der Decke hängt ein Plakat der Rolling-Stones. Der Wirt sieht aus, als hätte er früher selbst mit den Rockrebellen gespielt. Seine Gäste sind deutlich jünger - und deutlich politisch interessiert. Bodo (23) findet: "Gerade wer unzufrieden ist, sollte sich engagieren." Er selbst überlegt sogar, in eine Partei einzutreten. Sein Herz schlägt für die SPD. Im Sixties steht er damit ziemlich alleine. Gerade mal zwei Stimmen fallen für die Sozialdemokraten ab. Wer die Nase vorn hat? Ist doch klar: Die Grünen (27 Prozent).

Grün geht ab

Die "Forschungsgruppe Wahllokal" macht die Probe aufs Exempel.
Die "Forschungsgruppe Wahllokal" macht die Probe aufs Exempel.

Ginge es nach den Wählern in Mainzer Kneipen und Lokalen, hätte Deutschland nach der Wahl einen grünen Kanzler. Die Teilnehmer der Wahlmobil-Umfrage in der Bar "Lomo" am Ballplatz haben den Grünen mit 46 Prozent eine deutliche Mehrheit verschafft, gefolgt von der CDU (19). Die SPD erreicht 15 Prozent und ist damit drittstärkste Kraft. Die Piraten reißen in der studentisch geprägten Kneipe locker die Fünf-Prozent-Hürde und landen bei 12 Prozent. Für die FDP fallen acht Prozent ab. Anders ist das in der Gaststätte "Zur Andau". Zwar erreichen die Grünen mit 31 Prozent auch hier die Mehrheit. Die Liberalen kommen jedoch auf 25 Prozent und liegen damit noch vor SPD (19) und CDU (13). Auf Linke und Piraten entfallen jeweils sechs Prozent der Stimmen. Ginge die Bundestagswahl am Sonntag so aus wie in der Kneipe "Sixties", könnte es mit der Mehrheitsfindung schwierig werden. Auch hier erzielen die Grünen mit 27 Prozent das beste Ergebnis, könnten aber sowohl mit CDU (23) als auch mit FDP (23) ein Bündnis eingehen. Grün-Rot wäre dagegen auf keinen Fall drin: Die SPD landet bei der "Sixties"-Wahl abgeschlagen bei 9 Prozent und damit nur knapp vor den Linken und den Piraten (je fünf Prozent).

Warum man eine Kneipenumfrage nicht zu ernst nehmen sollte

Von Angela Kauer

Politikwissenschaftlerin Hanna Kaspar im Gespräch mit der Wahlmobil-Crew. Foto: Katharina Dielenhein
Politikwissenschaftlerin Hanna Kaspar im Gespräch mit der Wahlmobil-Crew. Foto: Katharina Dielenhein

Wer schon einmal einen Anruf von einem Meinungsforschungsinstitut bekommen hat, weiß, wie das funktioniert: Per Zufallsverfahren ermittelte Bürger werden angerufen und meist um die dreißig Minuten ausgefragt: Ob sie im Internet surfen, welche Tütensuppe sie bevorzugen – oder welche Partei sie wählen würden, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Die berühmte Sonntagsfrage also. Die hat das Wahlmobil unserer Zeitung und RPR1 Kneipenbesuchern in Mainz gestellt.


„Ein netter Gag“, findet  die Politikwissenschaftlerin Hanna Kaspar von der Universität Mainz. Aber mit den Umfragen großer Institute wie Infratest dimap oder Forschungsgruppe Wahlen sei das nicht zu vergleichen. „Ihr zählt schließlich nur die Stimmen derjenigen, die an einem Abend mitten in der Woche in die Kneipe gehen können“, stellt die Politikwissenschaftlerin klar. „Da sind wahrscheinlich keine Schichtarbeiter dabei. Und auch wenig ältere Leute, sondern eher Studenten.“


Die Stichprobe des Wahlmobils sei damit nicht repräsentativ und erlaube keine zuverlässige Aussage über das Wahlverhalten der Deutschen. Gerade Repräsentativität ist für die Umfrageinstitute aber eine Art Gütesiegel. „Es gilt: Je größer die Anzahl der Befragten, desto repräsentativer ist das Ergebnis“, erläutert Kaspar. Befragt werden in der Regel 1000 oder mehr Menschen. Damit auch wirklich sicher ist, dass diese Auswahl die Bevölkerung der Bundesrepublik abbildet, überprüfen die Umfrageinstitute bestimmte Merkmale wie Alter, Geschlecht oder Einkommen noch einmal. Kaspar: „Es könnte ja sein, dass die Stichprobe überproportional viele ältere Leute enthält, weil die telefonisch oft besser zu erreichen sind.“ Durch bestimmte statistische Verfahren lassen sich solche Fehler ausgleichen. Trotzdem enthalten auch die Ergebnisse großer Institute eine gewisse Ungenauigkeit. „Selbst wenn sonst keine Fehler auftreten, hat man immer noch eine Spanne von zwei bis drei Prozentpunkten nach oben und nach unten, die an Ungenauigkeit vorhanden ist“, rechnet Kaspar vor. Liegt also zum Beispiel die CDU in einer solchen Umfrage bei 35 Prozent, kann sie bei der Wahl selbst genauso gut bei 32 Prozent landen – oder eben bei 38 Prozent. Wer sich zu sehr auf Umfragewerte verlässt oder sie falsch interpretiert, kann also am Wahlabend durchaus eine Überraschung erleben. „Aus einem Vorsprung von zehn Prozentpunkten kann ganz schnell ein Abstand von vielleicht nur vier Prozentpunkten werden“, sagt Kaspar. So war es zum Beispiel bei der Bundestagswahl 2005: Die Union lag damals in den Umfragen der Institute bei rund 40 Prozent, landete am Ende aber nur bei 35,2 Prozent und damit nur einen Prozentpunkt vor der SPD (34,2).