... Mit der Zweitstimme wird die andere Hälfte nach Listen im Verhältniswahlrecht gewählt. Sie entscheidet über die Zusammensetzung des Bundestages. Die meisten Parteien (die CSU als Regionalpartei ausgenommen) sind zwar bundesweite Organisationen, treten aber zur Wahl mit Landeslisten an. Die Wähler ein und derselben Partei kreuzen daher in unterschiedlichen Bundesländern verschiedene Listen an.

Die Umsetzung der abgegebenen Wählerstimmen in Bundestagsmandate erfolgt in drei Schritten:

1. Schritt: Die Zweitstimme entscheidet über die Stärke der Parteien

Zunächst werden alle Zweitstimmen einer Partei zusammengezählt und ihr Anteil an der Gesamtzahl der gültigen Zweitstimmen berechnet. Nur die Parteien, die mindestens fünf Prozent der Zweitstimmen gewonnen haben, werden bei der Verteilung der Sitze im Parlament, d.h. der Mandate, berücksichtigt (Fünf-Prozent-Sperrklausel). Diesen Parteien steht ein Anteil an Bundestagsmandaten zu, der ihrem Zweitstimmenanteil entspricht.

 

So haben beispielsweise 1998 Bündnis 90/Grüne 6,7 Prozent der Zweitstimmen gewonnen. Damit standen ihr 6,7 Prozent der Mandate zu – tatsächlich sogar etwas mehr, weil die unberücksichtigten Zweitstimmen für die Splitterparteien auf die anderen Parteien umgelegt wurden. 1998 erhöhte sich dadurch der Mandatsanteil für Bündnis 90/Grüne um 0,4 Prozent. Diesen 7,1 Prozent der Mandate hätten 46,67 Sitze im Bundestag entsprochen. Nun kann man aber nicht 0,67 Sitze mit einem Mann oder einer Frau besetzen. Deshalb benötigt man hier statt der einfachen Berechnung von Prozent-Anteilen ein mathematisches Verfahren, mit dessen Hilfe ganze Parlamentssitze so auf die Parteien verteilt werden, dass der prozentuale Zweitstimmenanteil näherungsweise erreicht wird.

 

Nach dem Hare/Niemeyer-Verfahren werden zunächst die für die verbundenen Landeslisten der einzelnen Parteien abgegebenen gültigen Zweitstimmen addiert. Berücksichtigt werden dabei nur die Parteien, die mindestens fünf Prozent der abgegebenen gültigen Zweitstimmen oder in mindestens drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben.

 

Danach werden die 598 zu vergebenden Abgeordnetensitze mit der Zahl der Zweitstimmen der einzelnen Parteien multipliziert und durch die Gesamtzahl der Zweitstimmen aller Parteien über fünf Prozent dividiert. Dabei erhält jede Partei so viele Sitze, wie ganze Zahlen auf sie entfallen. Die dann noch zu vergebenden Sitze werden in der Reihenfolge der höchsten Reste, die sich bei der Berechnung ergeben, verteilt. Die Umrechnung ergab 1998, dass Bündnis 90/Grüne 46 +1 Sitze im Bundestag zustanden.

 

2. Schritt: Verteilung der Mandate auf die Landeslisten

Nachdem feststeht, wie viele Mandate Bündnis 90/Grüne insgesamt erreicht haben, wird nun ermittelt, welchen Beitrag die einzelnen Landeslisten zu diesem Gesamtergebnis geleistet hatten. Wenn beispielsweise Bündnis 90/Grüne aus NRW ein Drittel der gesamten Zweitstimmen gewonnen hätten, dann stünden ihnen auch ein Drittel der 47 Bundestagsmandate zu. Die Verteilung der Mandate auf die einzelnen Landeslisten erfolgt auch hier wieder nach Hare/Niemeyer.

 

3. Schritt: Besetzung der Abgeordnetensitze mit Direkt- und Listenkandidaten

Hat man im zweiten Schritt die genaue Anzahl der Bundestagsmandate ermittelt, die auf eine Landespartei entfallen, so müssen die Mandate nun an die einzelnen Kandidaten vergeben werden. Zunächst werden die gewonnenen Direktmandate berücksichtigt. Ein Kandidat, der in seinem Wahlkreis die Mehrheit der Erststimmen erobert hat, zieht auf jeden Fall in den Bundestag ein. Hat eine Landespartei mit den Zweitstimmen mehr Sitze gewonnen, als sie mit ihren gewählten Direktkandidaten besetzt, werden die restlichen Sitze an die Kandidaten der Landesliste vergeben und zwar in der dort angegebenen Reihenfolge.

 

Wenn eine Partei keine Direktmandate gewonnen hat, schickt sie alle Abgeordneten über ihre Landeslisten in den Bundestag. Der SPD ist es 1998 in einigen Bundesländern gelungen, mit den Erststimmen insgesamt 13 Direktmandate mehr zu gewinnen, als ihr nach dem Zweitstimmenanteil in diesen Bundesländern zugestanden hätten. Das Wahlgesetz sieht vor, dass diese überzähligen Mandate der Partei erhalten bleiben (Überhangmandate) und sich die Gesamtzahl der Abgeordneten für die Wahlperiode um die Zahl der Überhangmandate erhöht (1998 also von 656 auf 669).