Leben mit und von der Mobilität

Zahlreiche Berufspendler eilen in Montabaur zu den Zügen. Umsonst! Der ICE ist unpünktlich. Warten ist angesagt. Gut, dass es einen Kiosk gibt.

von Moritz Meyer

Das Ehepaar Meyer lebt von dem, was sie in ihrem Kiosk an die Pendler verkaufen. Foto: Daniel Weber
Das Ehepaar Meyer lebt von dem, was sie in ihrem Kiosk an die Pendler verkaufen. Foto: Daniel Weber

Wenn ein Zug zu spät kommt, dann freuen sich Gabriele und Volker Meyer. Denn dann wird die Pendlerroutine aus Ankommen - raus aus dem Auto - rein in den Zug - Wegfahren am ICE-Park in Montabaur durchbrochen. Und anstatt sich auf dem zugigen Bahnsteig die Beine in den Bauch zu stehen, kommen viele der Reisenden in den Kiosk des Ehepaars, nutzen die Zeit für einen Kaffee, ein zweites Frühstück oder stöbern in den Zeitschriften. Jede Verspätung bringt ein paar Euro mehr in die Kasse des Ladens, der zwar immer von 5 bis 20 Uhr auf hat, aber die Hälfte seines Umsatzes in den ersten vier Stunden machen muss. Bleiben die Pendler aus, kann der kleine Kiosk nicht überleben. Kein Wunder, dass die Wirtschaftskrise den Familienbetrieb hart trifft.

Dabei genießen die Meyers mit ihrem Kiosk eigentlich ein Privileg, das für viele Menschen keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Sie können dort arbeiten, wo auch ihr Wohnort ist. Die meisten ihrer Kunden tun das nicht; teils bewusst, teils, weil die heutigen Arbeitsbedingungen es von ihnen verlangen. Gut 2500 Reisende steigen täglich am ICE-Bahnhof ein, drei Viertel davon sind Pendler oder Geschäftsreisende. Um ihren Arbeitsplatz in einer großen Stadt zu behalten, dabei aber trotzdem das ruhige Leben im Westerwald genießen zu können, nehmen sie in Kauf, täglich bis zu drei Stunden mit dem Weg zum Arbeitsplatz zu verbringen. Das ständige Unterwegssein ist zum Kennzeichen der Region östlich des Rheins geworden, wo zwei Autos pro Haushalt Standard sind.
Die Menschen in der Region nehmen weite Wege für ihren Arbeitsplatz in Kauf. Foto: Daniel Weber
Die Menschen in der Region nehmen weite Wege für ihren Arbeitsplatz in Kauf. Foto: Daniel Weber
Mobilität ist zum Kennzeichen der Arbeitsgesellschaft geworden, in der es für immer mehr Menschen normal geworden ist, "den Job zu nehmen, den man kriegen kann", wie es ein Pendler am ICE-Park formuliert. Früher war es ein Luxus, "mobil zu sein". Mittlerweile ist es für unsere Gesellschaft, selbstverständlich, dass selbst die Entfernung zwischen München und Hamburg in wenigen Stunden zu bewältigen ist. Und so wurde aus dem Luxus erst Normalität und dann eine Anforderung. Heute gilt mangelnde Mobilität als Nachteil auf dem Arbeitsmarkt, in Stellenanzeigen wird es von den Bewerbern erwartet "flexibel" einsetzbar zu sein. Die Pendler in Montabaur - vor allem die jüngeren - haben dieses Credo bereits verinnerlicht. "Gehört heute halt dazu", sagt einer. Seltener ist die Meinung eines Familienvaters, der, nachdem er 25 Jahre in Koblenz gearbeitet hat, jetzt täglich nach Frankfurt zum Arbeitsplatz fahrern muss. "Da geht einfach viel Zeit drauf. Ich weiß nicht, ob das gut für die Gesellschaft ist."
Tatsächlich empfinden die Wenigsten die Hin- und Herfahrerei als Belastung. Zu stark wiegt der Vorteil, des im Vergleich zur Großstadt ruhigeren und auch günstigeren Lebens im Ländlichen. Der 23-jährige Projektmanager Philipp Ferger etwa fährt jeden Tag nach Frankfurt. Natürlich könnte er sich eine Wohnung in der Rhein-Main-Region suchen. "Aber Frankfurt ist nicht so meins", sagt er. Stattdessen hält er Westerburg die Treue. Auch Saskia Krämer (30), in einer Kölner Anwaltskanzlei tätig, macht die Pendelei von Neuwied nichts aus. Drei Stunden am Tag ist sie unterwegs, aber "dafür kommt man abends nach der Zugfahrt entspannt an", findet sie.
 
Das Ehepaar Meyer lebt von diesen mobilen Arbeitnehmern. Seit April 2004 führen sie den Kiosk im ICE-Bahnhof; zumindest versuchen sie es. Denn sie sind abhängig von den regelmäßigen Pendlerströmen. Wenn die, wie jetzt in der Wirtschaftskrise, abnehmen, dann leidet auch das Geschäft. Vor allem die Kurzarbeit setzt den Kioskbetreibern zu: "Freitags arbeiten viele im Moment nicht mehr. Klar spüren wir das," sagt Volker Meyer. Und wenn die Bahn durch Pannen Züge streichen muss, steigen auf einmal wieder viele aufs Auto um. "Es kommt eben immer eins zum anderen", sagt Volker Meyer. Er wäre gerne unabhängiger von den Pendlerströmen. Große Hoffnungen hatte er in das Outlet-Center. "Aber bis das von der Politik mal entschieden wird, bin ich in Rente." Und so bleibt den Meyers nur das Geschäft mit den Pendlern. Das ist zwar nicht absolut krisensicher, aber zumindest nah am Eigenheim.