Bingo! oder: Eine Sternstunde deutscher Debattenkultur(?)

Christian D. Thomas
Christian D. Thomas

Finanzkrise, Atomausstieg, Afghanistan, Dienstwagenaffäre, Gesundheitspolitik, Soziale Marktwirtschaft - fast alle aktuellen Themen der bundesdeutschen Politik haben Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier beim lange und mit Spannung erwarteten Kanzlerduell gestreift. Die Zuschauer im Audimax der TU Kaiserslautern spielten daneben Buzzword-Bingo - zweifellos die anspruchsvollere und spannendere Abendbeschäftigung.

 

Das Wichtigste vorneweg: Wer fundierte Argumente, inhaltliche Aufklärung oder gar Neues über die politischen Ziele der beiden Bewerber um das Amt des Bundeskanzlers erhofft hatte, der wurde vom Duell enttäuscht. Wer hingegen gut unterhalten werden wollte, beispielsweise durch rhetorisch geschliffene Wortwechsel à la Franz Josef Strauß und Herbert Wehner erwartete, der wurde auch enttäuscht.

 

Was also soll ein solches Kanzlerduell leisten? Inhaltliche Positionen austauschen, einen Diskurs über die Positionen liefern, so dass der mündige Bürger sich aus den Antworten seine Meinung zu Sachfragen bilden kann. Ja, zweifelsfrei. Das kann sich aber schnell im Dickicht der Statistiken totlaufen. Oder doch eher unterhalten? Ja, gerne - sofern das auf einem vergleichsweise hohen Niveau geschieht.

Praktisch wirkt das Duell zwischen Merkel und Steinmeier, als streite sich ein altes Ehepaar: Die Kinder sind aus dem Haus, alle Gemeinsamkeiten der Zweckehe aufgebraucht, eine Scheidung eigentlich geboten - aber neue, frisch-knackige Partner sind nicht wirklich in Sicht. So bleibt nur, vergleichsweise sanft miteinander umzugehen, sich auf eine neue Runde miteinander einzustellen - bis das der Tod sie scheidet.

 

Die von den Sendern gewählte Idee, einen Moderatorenwettstreit statt eines Kanzlerduells zu senden, kann jedenfalls nicht befriedigen.

 

Bei entspannt-gemütlicher Stimmung startete das Duell gleich mit einem Lacher, hervorgerufen vom Lächeln der Kanzlerin: Diese exquisite Mischung aus Qual, Freude, Blick und hängenden Mundwinkeln sorgte für Heiterkeit im Audimax in Kaiserslautern. Was folgt, ist eher mau: „Sollte", „könnte", „dürfte", „müsste" sind nicht gerade die stärksten Verben der deutschen Sprache. Kühne Entschlossenheit, visionäres Handeln, zielorientiertes Vorgehen und der Wille zu konzertierten Aktionen hören sich sprachlich anders an.

Merkels Dozieren ruft im Audimax beim Publikum eher gelangweiltes Gähnen hervor - die Enttäuschung über beide Diskutanten hält sich aber in sehr engen Grenzen: Die Zuschauer hatten ihre Erwartungen recht niedrig geschraubt.

 

Weit größere Aufmerksamkeit als das Fernsehduell zieht das vom AStA veranstalteten Bingo auf sich. Kaum verwunderlich, denn hier können die Zuschauer Jägermeister und Haribo gewinnen - seit jeher studentische Grundnahrungsmittel. Beim Klang des Worts „Finanzkrise" dann plötzlich erste Unruhe im Saal - das steht nämlich auf der Bingokarte. Die Flasche Kräuterschnaps sieht so mancher schon in seiner Hand, meint, das Gebräu seine Kehle herunterlaufen zu spüren.

 

„Bingo!" heißt's dann tatsächlich um 20.43 Uhr. Die ersten beiden Mitspieler haben eine Reihe durch. Gratulation! Während Steinmeier über das marktradikale Programm der CDU sinniert und Merkel die These aufstellt, Soziale Marktwirtschaft sei die Versöhnung von Kapital und Arbeit, läuft eine Wahlmobil-Blitzumfrage. Deren Ergebnis: Keiner der Kandidaten antwortet auf die gestellten Fragen, belastbare inhaltliche Positionen sind bislang mit der Lupe zu suchen. Wie erwartet.

 

Aber was ist das? Aufruhr in der Mitte? AStA-Referent Jan Olbricht hat gerade verkündet, dass für jeden Bingogewinn ab sofort Freibier ausgegeben wird. Damit ist klar: Beide Flaschen Jägermeister und die Tüte Gummibärchen sind weg - viel schneller als erwartet. „Wir waren wohl zu schlagwortlastig", gesteht der Referent für Hochschulpolitik später ein.

 

Diskrete Blicke über die Schultern der Zuschauer offenbaren Ernüchterndes: Die Mehrzahl ist mit dem Bingo-Spiel beschäftigt, andere spielen Computerspiele auf ihren Laptops. Spannend ist wohl was anderes, als dieses Duell.

 

So langsam nähern wir uns der Zielgeraden, gehen die 90 Minuten televisionäre Ödnis zuende, wünscht man sich inzwischen selbst üble Pöbeleien der Kandidaten - Hauptsache die tun mal was anderes, als sich nur mit den Journalisten zu kabbeln, einander ins Wort zu fallen und zu erklären, sie wollen „diesen Satz jetzt mal aussprechen."

 

Was bleibt am Ende von anderthalb Stunden öffentlich-rechtlich-privater Duellübertragung? Die Erkenntnis, dass es wohl doch eins war, aber nicht zwischen Merkel und Steinmeier, sondern zwischen den beiden Kandidaten und den vier Journalisten. Hauptthema: Wer darf wen wann warum unterbrechen und wer sollte wann wie lange ausreden. Aber ob's dafür anderthalb Stunden Fernsehübertragung braucht, kann man getrost bezweifeln.

 

Wer nun auf die Idee kommen mag, die junge Generation sei politikverdrossen oder gar desinteressiert, der irrt. Die Mehrzahl der vom Wahlmobil-Team Befragten wünscht sich fundierte inhaltliche Auseinandersetzungen, die Vorstellung lang- und mittelfristiger politischer Konzepte. Da kommen Erinnerungen an unser Interview mit „Unterhaltungskanzler" Lars Reichow in Mainz am vergangenen Donnerstag auf: Der beklagte auch die Mittelmäßigkeit und Farblosigkeit des politischen Personals in der Bundespolitik, wünschte sich charismatischere Figuren auf der politischen Bühne.

 

Die größten Lachsalven kommen bei der Frage auf, wie die SPD denn um die 28 Prozent bei der Wahl holen will und Illners Replik zu Steinmeiers Antwort, eine Regierungsbildung mit der Linken gehe nur über seine Leiche ("Nur über meine Leiche kann in der SPD recht schnell gehen."). Aber das fällt unter den Punkt der Realsatire.

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Kommentare: 2
  • #1

    Moritz Meyer (Montag, 14 September 2009 12:37)

    Schöne und plastische Zusammenfassung des Duells. Kann mir gut vorstellen, wie es gelaufen ist. Jetzt habe ich das schöne Gefühl, nix verpasst zu haben ;)

  • #2

    bingo spiel (Mittwoch, 03 Februar 2010 13:02)

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